Das Pizzoid: eine Abgabe auf vertraglicher Basis
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Öffentliches Recht

Das Pizzoid: eine Abgabe auf vertraglicher Basis

Die Abschöpfung von «besonderen Vorteilen» durch Planungsmassnahmen ist im eidgenössischen Recht vorgesehen, die Regelung obliegt den Kantonen. Die bernische Gemeinde pflegt Ein- oder Aufzonungen (Zuweisung ins Bauland oder dort in eine höhere Nutzung) davon abhängig zu machen, dass der Eigentümer vom damit entstandenen Mehrwert einen Anteil an die Gemeinde abgibt. Die Art und Weise der Erhebung dieser «Mehrwertabschöpfung» im Kanton Bern vermag den rechtsstaatlichen Ansprüchen der heutigen Zeit nicht zu genügen.

Rechtsgrundlagen

a) Bund: RPG[1] Art. 5 Abs. 1 verweist den «angemessenen Ausgleich für erhebliche Vor- und Nachteile, die durch Planung nach diesem Gesetz entstehen» an das kantonale Recht. Direkt greift der Bund zum Schutz der Eigentumsgarantie über Abs. 2 erst ein, wenn die Planungen zu Eigentumsbeschränkungen führen, die einer Enteignung gleich kommen (materielle Enteignung). In diesem Fall wird «voll entschädigt».

b) Kanton Bern: Wie die Marginalie von BauG[2] Art. 142 («Ausgleich von Planungsvorteilen») zeigt, hat der Kanton Bern den Nachteil gemäss RPG Art. 5 Abs. 1 übersehen.

Mehrwertabschöpfung

Mit der Regelung der Mehrwertabschöpfung in BauG Art. 142 verweist der Kanton Bern diesen Bereich aus dem Reich der Verfügung in dasjenige der Vertragsfreiheit:

«Die Planungsvorteile werden durch die Steuergesetzgebung erfasst. Ausserdem können sich die Grundeigentümer, denen durch Planungsmassnahmen zusätzliche Vorteile verschafft werden (…) vertraglich verpflichten, einen angemessenen Teil des Planungsmehrwertes für bestimmte öffentliche Zwecke zur Verfügung zu stellen.»

Das wäre anders, wenn der Kanton Bern die Mehr- und Minderwertentschädigung zum Gegenstand gewohnter Regelung mit anfechtbarer Verfügung machte, wie beispielsweise die Kantone Basel-Stadt[3] und Neuenburg[4]. Wie einem neueren Entscheid aus dem Kanton Neuenburg[5] entnommen werden kann, tritt das Bundesgericht ohne Weiteres auf Beschwerden betreffend Mehr- und Minderwertentschädigung ein, im erwähnten Fall bestätigte es die Verneinung eines derartigen Mehrwertes durch die Vorinstanz (Abweisung der Beschwerde des Kantons Neuenburg).

Die bernische Vertragsfreiheit macht die Regelung der Mehrwertabschöpfung zu einem einseitigen Machtspiel: dem Eigentümer bleibt einzig die Alternative, Nein zu sagen und damit auf die Ein- oder Aufzonung zu verzichten.

Infrastrukturverträge

Sehr häufig werden Mehrwertabschöpfungen in so genannten «Infrastrukturverträgen» vereinbart. Diese Bezeichnung hat wohl mit Scham des die Mehrwertabschöpfung fordernden Gemeinwesens zu tun.[6]

Pizzoid

Die hier verwendete Bezeichnung «Pizzoid» stellt die so erhobene Abgabe in die Nähe des Pizzo[7]: Bei der Entstehung der Mafia auf Sizilien mussten die Bauern für ihr Land Schutzgebühr an die Grossgrundbesitzer zahlen. Verweigerten sie diese «pizzo» genannten Beträge, wurden ihre Ländereien zerstört. Cosa Nostra und andere Mafia-Organisationen verlangen noch immer Schutzgebühren. Dies tun sie längst nicht mehr von den Bauern, sondern von Geschäfts- und Ladenbesitzern.

Der Vergleich mag dreist sein: Selbstverständlich droht die bernische Gemeinde nicht mit Brandschatzung. Aber sie macht von ihrer hoheitlichen Befugnis der Ein- oder Aufzonung immer mehr nur Gebrauch, wenn sie dafür entschädigt wird. Diese Entschädigung wird vertraglich vereinbart. Der Vertragspartner der Gemeinde hat diesen Vertrag zu unterzeichnen, bevor der Gemeinderat die Planungsvorlage dem zuständigen Organ (Parlament und/ oder Volk) unterbreitet. Ist er dazu nicht bereit, verzichtet das Gemeinwesen auf das Projekt.

Weil die Verpflichtung durch Vertrag entsteht, kann sich der Eigentümer nach dessen Abschluss nicht oder nur sehr beschränkt dagegen wehren. Die Gemeinde diktiert ihm den zu bezahlenden Preis und die Modalitäten seiner Bezahlung (Fälligkeit, Sicherstellung etc.). Auch wenn die Gemeinde die Mehrwertabschöpfung trügerisch in ein Reglement kleidet, ändert dies nichts daran, dass der Rechtsschutz des Eigentümers (z.B. mit der Möglichkeit, das Entstehen eines Mehrwertes überhaupt bzw. dessen Höhe überprüfen zu lassen) von vorn herein ausgeschlossen ist.

Diese Rechtsschutzlosigkeit ist für unsere Breitengrade peinlich.

Der Kanton Bern ist gut beraten, hier Abhilfe zu schaffen und das Pizzoid mit entsprechenden Verfahrens- und Rechtsschutzbestimmungen auf ein Niveau zu entwickeln, wie es bei anderen Kausalabgaben geläufig ist.

Fussnoten

  1. Bundesgesetz über die Raumplanung (SR 700).

  2. Baugesetz des Kantons Bern (BSG 721.0).

  3. Bau- und Planungsgesetz (BPG) des Kantons Basel-Stadt, SG 730.100, § 120 bis 126.

  4. Loi cantonale sur l’aménagement du territoire (LCAT) des Kantons Neuenburg, RSN 701.0, Art. 33 bis 42.

  5. BGE 132 II 401 vom 17.7.2006.

  6. Ein gutes Beispiel bildet der Titel «Infrastrukturverträge und dergleichen» in der Arbeitshilfe für die Ortsplanung AHOP des seinerzeitigen Raumplanungsamtes des Kantons Bern – es gehörte zur Baudirektion – aus dem Jahre 1991: Es handelt sich im Wesentlichen um eine Anleitung zum Machtspiel aus Sicht der Gemeinde.

  7. Vom sizilianischen Dialektausdruck «pizzu» = Vogelschnabel; Schutzgelderpressung, vgl. auch www.addiopizzo.org, Comitato Addiopizzo, Palermo.

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