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Privatrecht

Die Übertragung des Mietvertrags von Geschäftsräumen bei der Vermögensübertragung eines Einzelunternehmens

Gemäss Art. 263 Abs. 1 OR kann der Mieter von Geschäftsräumen das Mietverhältnis nur mit schriftlicher Zustimmung des Vermieters auf einen Dritten übertragen. Demgegenüber hält Art. 69 FusG fest, dass  im Handelsregister eingetragene Einzelunternehmen ihr Vermögen oder Teile davon mit Aktiven und Passiven auf andere Rechtsträger des Privatrechts übertragen können. Was gilt nun?

Wir gehen von folgendem Sachverhalt aus: Der Millionär Marlon Vögeli, Inhaber des im Handelsregister eingetragenen Einzelunternehmens «Vogelhaus Vögeli», mietet von Frank Hausammann ein Geschäftslokal. Der Miet vertrag lautet auf Marlon Vögeli als Inhaber des Einzelunternehmens. Nach sechs Jahren gründet Marlon Vögeli die «Vogelhaus Vögeli GmbH» und überträgt die Vermögenswerte seines Einzelunternehmens auf die neu gegründete GmbH. Es stellt sich die Frage, was mit dem bisherigen Mietvertrag geschieht.

 Gesetzliche Regelung

Gemäss Art. 263 Abs. 1 OR kann der Mieter von Geschäftsräumen das Mietverhältnis nur mit schriftlicher Zustimmung des Vermieters auf einen Dritten übertragen. Der Vermieter kann die Zustimmung nur aus wichtigem Grund verweigern. Demgegenüber hält Art. 69 FusG fest, dass im Handelsregister eingetragene Einzelunternehmen ihr Vermögen oder Teile davon mit Aktiven und Passiven auf andere Rechts träger des Privatrechts übertragen können.

In unserem Fall stellt sich also die Frage, ob der Mietvertrag mit der Vermögensübertragung automatisch (und damit ohne Zustimmung des Vermieters) auf die Vogelhaus Vögeli GmbH übergeht, oder ob Art. 263 Abs. 1 OR Art. 69 FusG vorgeht und folglich trotz der Vermögensübertragung die Zustimmung des Vermieters zur Übertragung des Mietverhältnisses notwendig ist.

Die Entstehung des Fusionsgesetzes

Das Fusionsgesetz äussert sich nur zur Übertragung von Vermögen – oder Teilen davon – mit Aktiven und Passiven, nicht aber zur Übertragung von Verträgen. Und insbesondere nicht zur Übertragung von Verträgen, bei welchen, wie beim Mietvertrag, eine spezialgesetzliche Bestimmung besteht. Streng gesehen handelt es sich bei Verträgen nicht um «Vermögen». Es lohnt sich somit, einen Blick auf die Entstehungsgeschichte des Fusionsgesetzes zu werfen.

Die Ausführungen von Bundesrätin Metzler im Nationalrat und die darauf gestützte Abstimmung zeigten deutlich, dass sich der Gesetzgeber klar gegen die Zulässigkeit einer Übertragung von Vertragsverhältnissen ohne Zustimmung aller beteiligten Vertragsparteien ausspricht. Mit dem Hinweis, dass die Fusion und die Vermögensübertragung auf grundlegend verschiedenen Konzepten beruhen, hielt Bundesrätin Metzler fest: «Das materielle Recht, einschliesslich der Übertragungsbeschränkungen, darf dadurch nicht berührt werden, wenn es nicht aus den Angeln gehoben werden soll. An der geltenden Ordnung zur Übertragung von Verträgen soll daher nicht gerüttelt werden. Fehlt es an der Zustimmung der einen Partei, dann kann ein Vertrag nicht übertragen werden. Es bestehen indessen Spezialvorschriften für die Übertragung von Arbeits-, Miet- und Versicherungsverträgen».[1]

Der Bundesrat hielt in der Botschaft zum Fusionsgesetz hinsichtlich der Übertragbarkeit von Verträgen (in Bezug auf die Spaltung, was aber analog auch für die Vermögensübertragung gilt) fest, dass Verträge nicht ohne weiteres übergehen. «Für den Wechsel einer Vertragspartei ist grundsätzlich das Einverständnis aller Vertragsparteien erforderlich».[2]

Beim Erlass des Fusionsgesetzes war es also der Wille des Gesetzgebers, dass auch bei einer Vermögensübertragung zwingend die Zustimmung aller Vertragsparteien für die Übertragung von Verträgen notwendig ist.

Die Rechtslage scheint somit klar zu sein. Dem ist aber nicht so, denn die «automatische» Übertragung eines Mietvertrags ohne Anwendung von Art. 263 OR ist in der Literatur umstritten. Das Bundesgericht hat sich zu diesem Punkt bis heute noch nicht geäussert.

Meinungsstand

a) Das Fusionsgesetz geht Art. 263 OR vor:

Vor allem die wirtschaftsfreundlichen Autoren sind der Meinung, dass Art. 263 OR im Rahmen einer Vermögensübertragung gemäss Art. 69 FusG (sog. partielle Universalsukzession) mangels eines entsprechenden Verweises im Fusionsgesetz nicht anwendbar ist und ein Mietvertrag daher ohne Zustimmung des Vermieters übergeht.[3]

Die Autoren argumentieren hauptsächlich mit dem Zweck des Fusionsgesetzes: Ziel sei, dass Umstrukturierungen wie Spaltungen oder Vermögensübertragungen nicht nur ermöglicht, sondern auch erleichtert würden.[4] Bei Nichtübertragbarkeit würde das Institut der Vermögensübertragung eines seiner attraktivsten Merkmale verlieren.[5]

Dem Vermieter stehe aber die Möglichkeit offen, den Vertrag aus einem wichtigem Grund, gestützt auf Art. 266g OR, zu kündigen.[6] Zudem bestünden Gläubigerschutzbestimmungen, welche der Vermieter bei einer Vertragsübertragung beanspruchen könne.[7] So sieht Art. 75 Abs. 1 FusG eine auf drei Jahre begrenzte Solidarhaftung des bisherigen Schuldners vor.

b) Art. 263 OR geht dem Fusionsgesetz vor:

Andere Autoren stellen sich auf den Standpunkt, dass Art. 263 OR als Spezialgesetz uneingeschränkt zum Tragen kommt, weil bei der Vermögensübertragung und der Spaltung keine eigentliche Universalsukzession stattfindet.[8] Die Übertragung des Mietverhältnisses bedarf darum zwingend der Zustimmung des Vermieters.[9]

Die Autoren begründen ihre Haltung folgendermassen: Die grammatikalische Auslegung zeige, dass sich das Fusionsgesetz nur auf Forderungen und Schulden, aber nicht auf ganze Vertragsverhältnisse beziehe. Die historische Auslegung mache zudem klar, dass sich der Gesetzgeber unmissverständlich gegen eine «automatische» Vertragsübertragung ausgesprochen habe.

Bei der Auslegung nach Sinn und Zweck (teleologische Auslegung) stünden sich die Ziele des Fusionsgesetzes und der Mietrechtsbestimmung gegenüber. Das Ziel des Fusionsgesetzes sei die Erleichterung von Umstrukturierungen. Die Ziele der Mietrechtsbestimmung seien demgegenüber die negative Partnerwahlfreiheit und der Schutz des Vermieters angesichts des beträchtlichen Missbrauchspotenzials, wie z.B. schlechte Zahlungsmoral oder eine konkurrenzierende Tätigkeit. Mit den Gläubigerschutzbestimmungen sei dem Schutzbedürfnis des Vermieters keinesfalls genüge getan, weil das aufgezwungene Mietverhältnis bestehen bleibe.

Auch die systematische Auslegung spreche für die Anwendung von Art. 263 OR, sei ein Mietvertrag doch als offensichtlich nicht frei übertragbarer Gegenstand einzustufen und gemäss allgemeinen Prinzipien setze die Übertragung eines Vertrags den Konsens sämtlicher Beteiligter voraus.

Minder ist der Ansicht, dass dem Vermieter auch bei Vorliegen eines wichtigen Grunds im Sinn von Art. 263 Abs. 2 OR nicht zugemutet werden kann, keine Möglichkeit zu haben, sich der Übertragung zu widersetzen.[10]

Würdigung der Meinungen

Nach Meinung des Schreibenden geht Art. 263 OR als ausdrückliche gesetzliche Spezialregelung dem Fusionsgesetz vor. Wenn auch Verträge – insbesondere solche, für die eine besondere Bestimmung besteht – automatisch übertragen werden sollten, hätte der Gesetzgeber dies im Fusionsgesetz erwähnen müssen. Das hat er jedoch nicht getan. Vielmehr spricht die Entstehung des Fusionsgesetzes und damit der gesetzgeberische Wille klar für die Anwendung von Art. 263 OR. Von vielen Autoren wird der Schutzgedanke hinter Art. 263 OR ausser Acht gelassen, obwohl dieser von wesentlicher Bedeutung ist: Es darf nicht sein, dass ein reicher Einzelunternehmer eine GmbH gründet und den Mietvertrag auf diese überträgt, die GmbH aber dann den Mietzins nicht mehr bezahlt und der Vermieter nach drei Jahren auf den wohlhabenden Einzelunternehmer keinen Rückgriff mehr nehmen kann. Wenn wichtige Gründe vorliegen, muss der Vermieter die Möglichkeit haben, die Zustimmung zum Übertrag zu verweigern. Die Möglichkeit, den Mietvertrag aus wichtigem Grund gestützt auf Art. 266g OR zu kündigen, ist nicht zielführend, hat dies doch bei einer Anfechtung der Kündigung ein langes Verfahren zur Folge.

Entgegen einigen Lehrmeinungen steht Art. 263 OR auch nicht der Erleichterung von Umstrukturierungen entgegen, kann die Zustimmung doch nur aus wichtigem Grund verweigert werden. Im Grundsatz ist somit der Erhalt der Zustimmung und damit die Übertragung des Mietverhältnisses kein Problem. Trotzdem hätte der Vermieter einen Notschalter in der Hand, um eine Übertragung bei Vorliegen eines wichtigen Grunds – wie z.B. mangelnde Solvenz, fehlende behördliche Bewilligung zur Ausübung der mietvertraglich vorgesehenen Tätigkeit oder beabsichtigte vertragswidrige Nutzung – verhindern zu können.

Fazit

Obwohl gute Gründe bestehen, dass sich der Vermieter auf Art. 263 OR berufen kann, bleibt eine grosse Unsicherheit, ob bei einer Vermögensübertragung die obligationsrechtlichen oder die fusionsrechtlichen Bestimmungen anwendbar sind.

Um weder auf Seiten des Vermögensübertragenden noch auf Seiten des Vermieters ein Risiko einzugehen, empfiehlt sich bis zur Klärung der Frage durch das Bundesgericht folgendes Vorgehen:

  • Im Falle der Vermögensübertragung von einer Einzelunternehmung zu einer juristischen Person müssen alle Verträge im Übertragungsvertrag aufgelistet werden. Zudem sollte der Vermieter schriftlich informiert und – wenn möglich – um seine ausdrückliche Zustimmung zum Vertragsübergang gebeten werden.
  • Beim Abschluss eines Mietvertrags mit einem Einzelunternehmen sollte der Vermieter vorsichtshalber eine Klausel in den Vertrag aufnehmen, welche besagt, dass bei einer Vermögensübertragung zwingend die Zustimmung des Vermieters erforderlich ist.

Fussnoten

  1. Amtl. Bull. NR 2003 S. 244.

  2. Botschaft zum Bundesgesetz der Fusion, Spaltung, Umwandlung und Vermögensübertragung, in Bbl. 2000 4337, 4445.

  3. Vgl. Alexander Vogel/Michael Günter, Immobilien und immobilienbezogene Rechte als Objekte der Vermögensübertragung, in AJP 2015 S. 1026, 1042; von der Crone/Gersbach/Kessler/Dietrich/Berlinger, Das Fusionsgesetz, Zürich 2004, Rz. 985 und 1011; ZK FusG-Beretta, vor Art. 69–77, Rz. 41 und 54. So auch Rudolf Tschäni/Hans-Jakob Diem/Matthias Wolf, M&A-Transaktionen nach Schweizer Recht, Zürich/Basel/Genf 2013, Rz. 128, welche sich aber mit dem Thema nicht auseinandersetzen.

  4. Unter vielen: von der Crone/Gersbach/Kessler/Dietrich/Berlinger, a.a.O., Rz. 985.

  5. Joachim Frick, Stämpflis Handkommentar FusG, Art. 69 Rz. 20.

  6. Alexander Vogel/Michael Günter, a.a.O., 1043; ZK FusG-Beretta, vor Art. 69–77, Rz. 54.

  7. Alexander Vogel/Michael Günter, a.a.O., 1043, Joachim Frick, Stämpflis Handkommentar FusG, Art. 69 Rz. 20.

  8. Lukas Glanzmann, Umstrukturierungen – Eine systematische Darstellung des schweizerischen Fusionsgesetzes, Bern 2014, Rz. 364; BSK OR-Weber, Art. 263 Rz. 2a.

  9. Matthias Minder, Die Übertragung des Mietvertrags bei Geschäftsräumen (Art. 263 OR) Einschliesslich des Verhältnisses von Art. 263 OR zum Fusionsgesetz (FusG), Teil D: Verhältnis von Art. 263 OR zum Fusionsgesetz, in ZStP 221/2010, Rz. 917. Im Gegensatz zu allen anderen Autoren, welche das Thema meist nur oberflächlich behandeln, setzt sich Matthias Minder ganzheitlich mit dem Thema auseinander.

  10. Matthias Minder, a.a.O., Rz. 909.

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