Die Verantwortlichkeiten bei Lernfahrten
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Strafrecht

Die Verantwortlichkeiten bei Lernfahrten

Wer im Besitze eines Lernfahrausweises ist, möchte sich zur Vorbereitung der praktischen Führerprüfung eine möglichst grosse Fahrpraxis aneignen. Lernfahrten mit Motorwagen dürfen - wie den meisten bekannt sein wird - lediglich im Beisein einer Begleitperson durchgeführt werden.[1] Sowohl die Begleitperson als auch der Fahrschüler tun gut daran, die jeweiligen Voraussetzungen und die möglichen Verantwortlichkeiten im Rahmen solcher Lernfahrten genau zu kennen. Die Regelungen wurden im Rahmen der Umsetzung der Massnahmenpakete "Via Sicura" teilweise verschärft. Der nachfolgende Artikel verschafft einen Überblick über die geltenden Bestimmungen.

Was ist bei Lernfahrten zu beachten?

Als Begleitpersonen gelten grundsätzlich alle Personen, welche einen Fahrschüler oder eine Fahrschülerin auf einer Lernfahrt begleiten, unabhängig davon, ob diese Funktion gewerblich im Rahmen einer Ausbildungsfahrt (Fahrlehrer), von einem Experten des Strassenverkehrsamtes oder von einer privaten Person aus dem Bekanntenkreis ausgeübt wird.[2]

Die Begleitperson muss das 23. Altersjahr vollendet haben und seit mindestens drei Jahren im Besitze des entsprechenden Führerausweises sein. Die Begleitperson darf sich zudem nicht mehr in der Probezeit befinden.[3]

Die Begleitperson hat dafür zu sorgen, dass die Lernfahrt gefahrlos durchgeführt wird und der Fahrschüler die Verkehrsvorschriften nicht verletzt.[4] Die Begleitperson muss dabei auf dem Beifahrersitz Platz nehmen und wenigstens die Handbremse leicht erreichen können.[5]

Mit der Umsetzung des zweiten Pakets des Handlungsprogramms des Bundes für mehr Sicherheit im Strassenverkehr ("Via Sicura") wurden per 1. Januar 2014 die Vorschriften für Begleitpersonen betreffend Fahren unter Alkoholeinfluss verschärft: Während vor der Gesetzesrevision das absolute Alkoholverbot lediglich für gewerbliche Fahrlehrer bestand, gilt dieses heute für sämtliche Begleitpersonen. Von einem Alkoholeinfluss wird gesprochen, wenn eine Blutalkoholkonzentration von 0.10 Promille oder mehr nachgewiesen wird.[6] Diese Nulltoleranz gilt ebenso für den Fahrschüler.[7]

 Wie "teilen" sich der Fahrschüler und die Begleitperson die strafrechtliche Verantwortlichkeit bei Verkehrsregelverletzungen?

Wer für Verkehrsregelverletzung im strafrechtlichen Sinn verantwortlich gemacht wird, ist in erster Linie vom Ausbildungsstand des Lernfahrers abhängig. Während die Verantwortung zu Beginn der Ausbildung schwergewichtig bei der Begleitperson liegt, geht diese mit zunehmender Fahrkunst und Prüfungsreife des Fahrschülers auf letzteren über.[8]

"Begeht ein Fahrschüler auf einer Lernfahrt eine strafbare Handlung (z.B. Geschwindigkeitsüberschreitung, Abkommen von der Fahrbahn, Nichtbeachten von Signalen, Missachten des Vortritts usw.), ist nach Art. 100 Ziff. 3 SVG grundsätzlich er selber verantwortlich, sofern er eine Widerhandlung nach dem Stand seiner Ausbildung hätte vermeiden können. Der vorschriftsgemässe Begleiter kann allein oder neben dem Fahrschüler straf- und administrativrechtlich verantwortlich sein."[9]

Eine scharfe Abgrenzung zwischen der Verantwortlichkeit des Fahrschülers und der Begleitperson besteht nicht. Es wird stets auf die Umstände des Einzelfalls ankommen, ob sich der eine oder andere oder beide gemeinsam für eine Verkehrsregelverletzung verantwortlich zeichnen.[10]

 Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit kann sowohl für die Begleitperson als auch für den Fahrschüler zusätzlich auch eine administrative Massnahme nach sich ziehen, je nach Schwere der Widerhandlung beispielsweise einen zeitlich beschränkten Entzug des Führerausweises resp. des Lernfahrausweises.

 Welche Konsequenzen drohen bei Alkoholkonsum?

Wird bei der Begleitperson eine Blutalkoholkonzentration zwischen 0.10 und 0.49 Promille festgestellt, macht sich diese wegen Missachtens des absoluten Alkoholverbots strafbar. Diese Regelung gilt gleichermassen auch für den Fahrschüler. Diese Widerhandlung wird als Übertretung qualifiziert und wird mit Busse geahndet.[11]

Die Polizei muss in einem solchen Fall die Weiterfahrt durch den Fahrschüler verhindern.[12] Setzt sich die Begleitperson ans Steuer, steht einer Weiterfahrt jedoch nichts im Wege, solange bei dieser keinen Alkoholwert über 0.49 Promille festgestellt wurde. Wenn die Begleitperson das Fahrzeug führt, liegt keine Lernfahrt im gesetzlichen Sinne mehr vor.

Bei einem Alkoholwert ab 0.5 Promille kommen sowohl für den Fahrschüler als auch für die Begleitperson dieselben Strafbestimmungen zur Anwendung wie für die anderen Motorfahrzeuglenker. Der Fahrschüler wird als Führer des Fahrzeugs nach Art. 91 Abs. 1 lit. a SVG (bis 0.79 Promille) resp. nach Art. 91 Abs. 2 lit. a SVG (0.8 Promille oder mehr) bestraft und zu einer Busse resp. Geldstrafe verurteilt. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung wird eine Begleitperson, welche in angetrunkenem Zustand einen Fahrschüler begleitet, wie ein Fahrzeugführer behandelt und bestraft.[13] Administrative Massnahmen, meist befristete Ausweisentzüge, drohen je nach Schwere der Widerhandlung sowohl dem Fahrschüler als auch der Begleitperson.

Welche Konsequenzen drohen bei einer Begleitperson, welche die gesetzlichen Anforderungen nicht erfüllt?

Erfüllt die Begleitperson die Voraussetzungen nach Art. 15 Abs. 1 SVG (23. Altersjahr vollendet, seit mindestens drei Jahren im Besitze des Führerausweises, nicht in der Probezeit) nicht, hat dies sowohl für die Begleitperson als auch für den Fahrschüler straf- und administrativrechtliche Konsequenzen: Während die Begleitperson "nur" mit einer Busse bestraft wird[14], wird das Verhalten des Fahrschülers als Vergehen qualifiziert, welches Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe nach sich ziehen kann.[15] Die Polizei hat dem Fahrschüler den Lernfahrausweis zudem auf der Stelle abzunehmen.[16] Der Fahrschüler ist daher gut beraten, vor Antritt der Lernfahrt die Qualifikation der Begleitperson genau zu prüfen und sich den Führerausweis zeigen zu lassen.

Erfüllt die Begleitperson die Voraussetzung nach Art. 15 Abs. 1 SVG nicht, läuft diese zudem erhöhte Gefahr, für Verkehrsregelverletzungen des Fahrschülers strafrechtlich verantwortlich gemacht zu werden, da der Gesetzgeber davon ausgeht, dass eine solche Person den Fahrschüler nicht sicher anleiten kann.[17]

Fazit

In Anbetracht der vorstehenden Regelungen und den damit verknüpften, teilweise schwerwiegenden Konsequenzen sollten sich sowohl der Fahrschüler als auch die Begleitperson nachfolgende Leitlinien stets vergegenwärtigen:

  • Der Fahrschüler und die Begleitperson prüfen gegenseitig, ob diese die gesetzlichen Voraussetzungen zum Antritt einer Lernfahrt erfüllen.
  • Der Fahrschüler und die Begleitperson versichern sich, dass das jeweilige Gegenüber sich in einem fahrfähigen Zustand befindet und das Alkoholverbot einhält.
  • Während der Lernfahrt lässt jeder die von ihm erwartete und persönlich zumutbare Sorgfalt walten.

 Dieser Artikel wurde erstmals im Clubmagazin des ACS Sektion Bern Ausgabe 01/2016 veröffentlicht.

Fussnoten

  1. Art. 15 Abs. 1 SVG (Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958, Stand am 20. Juni 2015, SR 741.01).

  2. Vgl. Kübler, Verantwortlichkeit und Strafbarkeit auf Begleitfahrten, in: Strassenverkehr 2/2014, S. 38 ff., S. 39.

  3. Art. 15 Abs. 1 SVG, Art. 15a Abs. 1 und 2bis SVG.

  4. Art. 15 Abs. 2 SVG.

  5. Art. 27 Abs. 2 VRV (Verkehrsregelverordnung vom 13. November 1952, Stand am 1. Januar 2016, SR 741.11).

  6. Art. 31 Abs. 2bis SVG i.V.m. Art. 2a Abs. 1 und 2 VRV.

  7. Art. 2a Abs. 1 lit. e VRV.

  8. Kübler, a.a.O., S. 40 mit Hinweisen auf BGE 97 IV 39; Art. 100 Ziff. 3 SVG.

  9. Weissenberger, Kommentar SVG und OBG, 2. Auflage, Zürich/St. Gallen 2015, Rz. 19 zu Art. 100 SVG.

  10. vgl. BGE 97 IV 39 S. 41 mit Hinweisen.

  11. Art. 91 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 31 Abs. 2bis und 2ter SVG i.V.m. Art. 2a VRV.

  12. Art. 30 lit. cbis SKV (Strassenverkehrskontrollverordnung vom 28. März 2007, Stand 1. Januar 2014, SR 741.013).

  13. BGE 128 IV 272 E. 3.1 S. 275.

  14. Art. 95 Abs. 3 lit. b SVG.

  15. Art. 95 Abs. 1 lit. d SVG.

  16. Art. 31 Abs. 1 lit. c SKV.

  17. Weissenberger, a.a.O., Rz. 18 zu Art. 100 SVG.

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