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Öffentliches Recht

Zu Unrecht erhobene Sozialversicherungsbeiträge und deren Rückerstattung

Ein in der Schweiz domiziliertes Unternehmen entsendet seine Mitarbeiter ins grenznahe Ausland. Ordnungsgemäss entrichtet es die für die betroffenen Mitarbeiter geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge in der Schweiz. Nun, knapp zehn Jahre später, hat ein ausländisches Gericht entschieden, dass die Sozialversicherungsbeiträge in demjenigen Land zu entrichten sind, in welches die betroffenen Mitarbeiter entsandt wurden. Das Verfahren vor den ausländischen Gerichten ist derzeit noch hängig. Dennoch stellen sich bereits heute gewichtige Fragen, insbesondere betreffend die Rückerstattung der allenfalls in der Schweiz zu Unrecht geleisteten Sozialversicherungsbeiträge.

Gesetzliche Grundlage

Die Schweizerische Gesetzgebung enthält keine explizite gesetzliche Grundlage für die Rückforderung von zu Unrecht erhobenen Sozialversicherungsbeiträgen. Gesetzlich geregelt ist einzig die Rückerstattung zu viel bezahlter Beiträge. Diesbezüglich enthält Art. 41 der Verordnung über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVV) eine entsprechende Bestimmung. Demnach kann, wer nicht geschuldete Beiträge entrichtet, diese von der Ausgleichskasse zurückfordern. Diese Bestimmung ist grundsätzlich auch für den Fall von zu Unrecht erhobenen Sozialversicherungsbeiträgen anzuwenden. Vorbehalten bleibt jedoch die Verjährung gemäss Art. 16 Abs. 3 des Gesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG).

Verwirkung anstelle Verjährung

Gemäss Art. 16 Abs. 3 AHVG erlischt der Anspruch auf Rückerstattung zu viel bezahlter Beiträge mit Ablauf eines Jahres, nachdem der Beitragspflichtige von seinen zu hohen Leistungen Kenntnis erhalten hat, spätestens aber fünf Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beiträge bezahlt wurden. Das Bundesgericht hat in seinem Entscheid vom 15. April 1985 festgehalten, dass es sich entgegen der Marginalie von Art. 16 AHVG nicht um Verjährungs-, sondern um Verwirkungsfristen handelt (vgl. BGE 111 V 136, E. 3b). Was bedeutet dies nunmehr für zu Unrecht geleistete Sozialversicherungsbeiträge? Müssen die entsprechenden Ansprüche auch innerhalb dieser fünfjährigen Verwirkungsfrist geltend gemacht werden?

Nein. Das damalige Eidgenössische Versicherungsgericht (heute: Bundesgericht) hat in seinem Urteil vom 15. Juni 1971 festgehalten, dass die Bestimmung von Art. 16 Abs. 3 AHVG nach dem Wortlaut auszulegen ist. Art. 16 Abs. 3 AHVG setzt demnach eine Beitragspflicht voraus und kann daher auf den vorliegenden Ausgangsfall, wo zu Unrecht Sozialversicherungsbeiträge entrichtet wurden, nicht angewendet werden (vgl. BGE 97 V 44, E. 1b).

Gesetzeslücke

In Bezug auf die Rückerstattung von zu Unrecht bezahlten Sozialversicherungsbeiträgen bestand somit eine Gesetzeslücke. Diese wurde zwischenzeitlich durch das Bundesgericht geschlossen. In Anlehnung an die Regelungen über die absolute Verjährung von Rückforderungsansprüchen von gewissen Steuern und in Analogie zu Art. 67 OR über die Verjährung des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs hat das Bundesgericht entschieden, dass bei zu Unrecht geleisteten Sozialversicherungsbeiträgen eine zehnjährige absolute Verwirkungsfrist anwendbar ist (vgl. BGE 101 V 182, E. 1b, BGE 110 V 154, E. 4a).

Konkreter Anwendungsfall

Was bedeutet die bundesgerichtliche Rechtsprechung nun für den Ausgangsfall? Grundsätzlich könnte man ja davon ausgehen, dass die Rückerstattung der gegebenenfalls zu Unrecht geleisteten Sozialversicherungsbeiträge innerhalb der zehnjährigen Verwirkungsfrist problemlos möglich sein sollte. Ist es aber nicht. Im vorliegenden Ausgangsfall standen Rückerstattungsansprüche aus dem Jahre 2005 zur Diskussion. Wie bereits eingangs erwähnt, ist auch heute, mithin knapp zehn Jahre nach Erhebung der entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge, fraglich, wo diese hätten entrichtet werden sollen – im Entsendungsland oder in demjenigen Land, in welches die betroffenen Mitarbeiter entsandt wurden.

Nun gut, Verwirkung bedeutet ja nichts anderes, als dass die entsprechenden Rückerstattungsansprüche innerhalb der zehnjährigen Frist geltend gemacht werden müssen. Weit gefehlt. Das Bundesgericht hat in seinem Urteil vom 15. Juni 1971 entschieden, dass die entsprechenden Rückerstattungsforderungen nicht nur innerhalb der zehnjährigen Frist geltend gemacht werden müssen, sondern dass darüber hinaus die Rückerstattung innerhalb dieser zehnjährigen Frist erfolgt sein muss. Vorliegend ein Ding der Unmöglichkeit, da die entsprechenden Verfahren vor den ausländischen Gerichten nach wie vor hängig sind.

Sozialversicherungsbeiträge werden von der zuständigen Sozialversicherungsanstalt des jeweiligen Kantons mittels Verfügung direkt bei den jeweiligen Unternehmen erhoben. Es stellt sich somit die Frage, ob die entsprechende Sozialversicherungsanstalt ihre damalige Verfügung nicht revidieren könnte. Gemäss Art. 53 Abs. 2 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) könnte die zuständige Sozialversicherungsanstalt auf eine formell rechtskräftige Verfügung zurückkommen, wenn diese zweifellos unrichtig ist und wenn ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist. Im vorliegenden Anwendungsfall könnte damit die zuständige Sozialversicherungsanstalt im Falle des Vorliegens eines entsprechenden rechtskräftigen ausländischen Urteils, wonach die für die betroffenen Mitarbeiter zu leistenden Sozialversicherungsbeiträge nicht in der Schweiz, sondern im Ausland zu entrichten sind, ihre damalige Verfügung grundsätzlich revidieren.

Allerdings ist gemäss Art. 67 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren (VwVG) das Revisionsbegehren spätestens innerhalb von zehn Jahren nach Eröffnung eines entsprechenden Entscheides schriftlich einzureichen. Diese zehnjährige Frist gilt nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung auch für die prozessuale Revision im Sinne von Art. 53 ATSG[1]. Diese Rechtsprechung des Bundesgerichts wurde bereits seit längerer Zeit kritisiert, insbesondere im Hinblick auf Dauerleistungen, wie beim vorliegenden Ausgangsfall. Das Bundesgericht hat sich glücklicherweise in seinem Entscheid vom 21. November 2014 dazu entschieden, seine bisherige Praxis aufzugeben. Es hat festgehalten, dass nicht ersichtlich sei, weshalb die Revision gemäss Art. 53 ATSG anders zu behandeln ist als die Revision gemäss Art. 17 ATSG.

«Somit ist festzuhalten, dass die Verwaltung auch über zehn Jahre nach Verfügungserlass befugt ist, auf eine zweifellos unrichtige Leistungszusprache oder -verweigerung wiedererwägungsweise zurückzukommen.»[2]

Somit gilt, dass Verfügungen der Verwaltung, mit welchen den betroffenen Versicherten Sozialleistungen zugesprochen resp. verweigert werden, auch über zehn Jahre nach deren Eröffnung in Wiedererwägung gezogen werden können. Offen ist jedoch, ob diese bundesgerichtliche Rechtsprechung auch für Verfügungen gilt, welche die Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen zum Gegenstand haben. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage in seinem Urteil vom 25. Februar 2015[3] offen gelassen. Grundsätzlich müsste diese Rechtsprechung jedoch auch für den Fall der Erhebung der entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge Anwendung finden, damit auch Fälle wie der vorliegende Ausgangsfall einer Lösung zugeführt werden können.

Im vorliegenden Ausgangsfall konnte mit der zuständigen Sozialversicherungsanstalt eine Lösung gefunden werden. Juristerei besteht nicht nur in Gesetzesartikeln und Bestimmungen, sondern zwischendurch auch im gemeinsamen Gespräch, damit eine Lösung für alle am Verfahren beteiligten Parteien gefunden werden kann.

Fussnoten

  1. Vgl. 8C_434/2011 vom 8. Dezember 2011, E. 3.

  2. BGE 140 V 514, E. 3.5.

  3. C-4929/2014, E. 6.5.

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