Privatrecht
Auf den 1. Januar 2017 trat das neue Unterhaltsrecht des ZGB[1] in Kraft, welches insbesondere bezweckt, das Unterhaltsrecht unabhängig vom Zivilstand der Eltern zu regeln. Dem Kind sollen mit anderen Worten keinerlei Nachteile erwachsen, ob die Eltern verheiratet sind oder nicht. Eine wesentliche Neuerung besteht darin, dass für die Berechnung des Unterhalts nunmehr nicht nur die direkten Kosten, welche für ein Kind anfallen (der sogenannte Barunterhalt; bspw. also die Kosten für Essen, Kleider, Wohnen, Versicherungen, etc.), massgebend sind, sondern dass darüber hinaus auch ein sogenannter Betreuungsunterhalt geschuldet sein kann.
Der Gesetzgeber hat keine konkrete Methode zur Bemessung des Betreuungsunterhalts festgelegt, sondern hat es den Gerichten überlassen, angemessene Lösungen zu finden. Dies hat dazu geführt, dass ganz unterschiedliche Praxen entwickeln wurden und dass Gerichte nicht immer gleichartig entschieden haben, wodurch grosse Rechtsunsicherheit entstand.[2] Diese wurde durch das Bundesgericht nun beseitigt.
Mit Urteil vom 17. Mai 2018 hat sich das Bundesgericht erstmals dafür ausgesprochen, dass für die Berechnung des Betreuungsunterhalts für die gemeinsamen Kinder von verheirateten und unverheirateten Eltern die sog. "Lebenshaltungskosten-Methode" zur Anwendung kommen soll.[3] Diese Methode basiert auf der Überlegung, dass die Erwerbsmöglichkeiten desjenigen Elternteils eingeschränkt sind, der überwiegend die Betreuung eines Kindes wahrnimmt. Dies kann dazu führen, dass dieser Elternteil aufgrund der Kinderbetreuung für seinen eigenen Unterhalt nicht mehr hinreichend aufkommen kann. Mit dem Betreuungsunterhalt soll die Präsenz des betreuenden Elternteils finanziell abgegolten werden; es handelt sich hierbei nicht um eine Entlohnung der betreuenden Person, sondern es soll damit deren wirtschaftliche Existenz gesichert werden. Die finanziellen Folgen aus dem Zeitaufwand für die Kinderbetreuung sollen von beiden Elternteilen gemeinsam getragen werden.[4] Der Betreuungsunterhalt soll wirtschaftlich dem persönlich betreuenden Elternteil zukommen, obwohl er formell als Anspruch des Kindes ausgestaltet ist.[5]
Nach der Lebenshaltungskostenmethode entsprechen die Betreuungskosten, welche mit dem Betreuungsunterhalt abgegolten werden sollen, der Differenz zwischen den Lebenshaltungskosten (berechnet gemäss dem familienrechtlichen Existenzminimum) und dem Einkommen, welches der kinderbetreuende Elternteil erzielt. Verdient dieser beispielsweise ein Einkommen von CHF 2'000.00 pro Monat und betragen die Lebenshaltungskosten CHF 3'200.00, so belaufen sich die Betreuungskosten auf CHF 1'200.00. In diesem Umfang wird Betreuungsunterhalt geschuldet sein, soweit nach der Lebenshaltungskosten-Methode gerechnet wird; dazu kommt dann der Barunterhalt. Erzielt hingegen ein kinderbetreuender Elternteil (mit wiederum ausgewiesenen Lebenshaltungskosten von CHF 3'200.00) ein Einkommen von CHF 5'000.00, so belaufen sich die Betreuungskosten auf null und es wird kein Betreuungsunterhalt zu bezahlen sein.[6]
Im Zusammenhang mit der Berechnung von Unterhaltszahlungen ist oftmals auch fraglich, in welchem Umfang der hauptsächlich die Kinder betreuende Elternteil mit Blick auf die Unterhaltspflicht des anderen einer Erwerbstätigkeit nachzugehen hat. Bisher ist von der sogenannten 10/16-Regel ausgegangen worden, wonach eine 50-prozentige Arbeitstätigkeit als zumutbar erachtet wurde, sobald das jüngste Kind das 10. Lebensjahr erreicht hatte, eine 100-prozentige Arbeitstätigkeit demgegenüber erst ab dem Zeitpunkt, in dem das jüngste Kind das 16. Altersjahr erreicht hat.[7] Auch diesbezüglich hat sich das Bundesgericht kürzlich geäussert.
Mit Urteil vom 21. September 2018 kam das Bundesgericht zum Schluss, dass die 10/16-Regel für den Betreuungsunterhalt nicht mehr sachgerecht sei und der heutigen gesellschaftlichen Realität nicht mehr entspreche. Es hielt fest, mit der obligatorischen Einschulung des Kindes werde der obhutsberechtigte Elternteil von der persönlichen Betreuung entbunden, weshalb im Normalfall dem hauptbetreuenden Elternteil ab der obligatorischen Beschulung des jüngsten Kindes eine Erwerbstätigkeit von 50 Prozent, ab dessen Eintritt in die Sekundarstufe I eine solche von 80 Prozent und ab dessen Vollendung des 16. Lebensjahrs ein Vollzeiterwerb zuzumuten sei.[8] Hierbei handelt es sich freilich um den Ausgangspunkt insofern, als der betreuende Elternteil auch anders als durch die obligatorische Beschulung des Kindes von Betreuungspflichten entlastet und dadurch für eine Erwerbstätigkeit frei werden kann, bspw. wenn ein Kind eine Kinderkrippe besucht oder durch eine Tagesmutter betreut wird.[9] Demgegenüber kommt es immer auch auf die tatsächliche Erwerbsmöglichkeit an, welche anhand der üblichen Kriterien wie Gesundheit, Ausbildung oder Arbeitsmarktlage zu prüfen sind.[10]
Die neue Rechtsprechung dürfte die Höhe der Unterhaltszahlungen des erwerbstätigen Elternteils, der die Kinder nicht oder nur in einem kleinen Umfang betreut, zukünftig verringern. Die Gerichte müssen im Einzelfall die Erwerbsmöglichkeiten des hauptbetreuenden Elternteils, meistens dürfte dies die Mutter sein, prüfen. Im Normalfall dürfen die Gerichte aber nicht ohne Not von der neuen Praxis abweichen.
Ebenfalls umstritten ist in Scheidungsprozessen oftmals die Frage, welcher Elternteil die Kinder betreuen soll, da hiervon auch die Höhe der geschuldeten Unterhaltszahlungen abhängt. Damit der Elternteil mit dem höheren Einkommen (meistens ist das nach wie vor der Mann) nicht zwingend in die Rolle des alleinigen Ernährers gezwängt wird, wurde im Gesetz die Möglichkeit der alternierenden Obhut explizit vermerkt. Bei diesem Modell kommen beide Elternteile für die Pflege und Betreuung des Kindes auf. Die Kinder haben nach einer Trennung der Eltern zwei gleichwertige Zuhause und leben abwechselnd bei der Mutter und beim Vater und verbringen mit beiden Elternteilen sowohl den Alltag als auch die Freizeit. Beide Elternteile betreuen die Kinder gleichverantwortlich. Es wird in der Praxis ab einem Betreuungsanteil von etwa 30 Prozent von einer alternierenden Obhut gesprochen, wobei die exakten Zeitanteile nicht ausschlaggebend sind, solange beide Elternteile sowohl im Alltag wie auch in der Freizeit einen substantiellen Teil der Betreuungs-, Bildungs- und Erziehungsverantwortung übernehmen.
Bei gemeinsamer elterlicher Sorge hat das Gericht gemäss Art. 298 Abs. 2ter ZGB im Sinne des Kindeswohls die Möglichkeit einer alternierenden Obhut zu prüfen, wenn ein Elternteil oder das Kind dies verlangt. Das Bundesgericht hat die Kriterien für alternierende Obhut nun wie folgt definiert: Erziehungsfähigkeit der Eltern, geografische Distanz zwischen den Wohnungen der beiden Eltern, bei kleinen Kindern die Möglichkeit der persönlichen Betreuung, Kooperationsfähigkeit der Eltern und der Wille des Kindes. Die alternierende Obhut setzt diverse organisatorische Massnahmen und gegenseitige Informationen unter den Eltern voraus. Die Eltern müssen fähig und bereit sein, in Kinderbelangen miteinander zu kommunizieren und zu kooperieren. Aus dem Umstand, dass ein Elternteil sich einer alternierenden Betreuungsregelung widersetzt, kann indessen aber noch nicht auf eine fehlende Kooperationsfähigkeit geschlossen werden, welche einer alternierenden Obhut im Wege stehen würde. Dies ist nur dort der Fall, wo die Eltern aufgrund von bestehenden Feindseligkeiten auch hinsichtlich anderer Kinderbelange nicht zusammenarbeiten können, mit der Folge, dass sie ihr Kind bei einer alternierenden Obhut einem gravierenden Elternkonflikt aussetzen würden, der den Interessen des Kindes offensichtlich zuwiderläuft.[11]
Die alternierende Obhut kommt eher in Betracht, wenn die Eltern das Kind schon vor ihrer Trennung abwechselnd betreuten. Weitere Gesichtspunkte sind die Möglichkeit der Eltern, das Kind persönlich zu betreuen, das Alter des Kindes, seine Beziehungen zu Geschwistern und seine Einbettung in ein weiteres soziales Umfeld. Auch dem Wunsch des Kindes ist Beachtung zu schenken, selbst wenn es bezüglich der Frage der Betreuungsregelung (noch) nicht urteilsfähig sein sollte.[12]
Die neue Rechtsprechung des Bundesgerichts ist zu begrüssen, da sie Klarheit bringt und Rechtssicherheit schafft. Nach der vom Bundesgericht für anwendbar erklärten Berechnungsmethode umfasst der Betreuungsunterhalt nunmehr die Differenz zwischen den Lebenshaltungskosten des kinderbetreuenden Elternteils und dessen eigenem Einkommen.
Die Abschaffung der 10/16-Regel ist erwartet worden und setzt ein gleichstellungspolitisches Signal, wobei es aber zu bedenken gibt, dass im Einzelfall auch ein entsprechendes und vor allem bezahlbares Betreuungsangebot bestehen muss. Die Anwendung der neuen Regel wird vom Bundesgericht davon abhängig gemacht, ob ein Angebot an familienexterner Kinderbetreuung vorhanden sei oder nicht.
Die alternierende Obhut schafft erfahrungsgemäss bessere Voraussetzungen für beide Elternteile, um Beruf und Familie unter einen Hut bringen zu können. Alleinerziehend zu sein ist nach wie vor ein hohes Armutsrisiko, welches durch die alternierende Obhut nachhaltig gemildert werden kann. Auch unter diesem Gesichtspunkt entspricht die neue Rechtsprechung des Bundesgerichts dem gesellschaftlichen Wandel; im Idealfall trägt sie bei zu mehr Lohn- und Chancengleichheit zwischen Frau und Mann in der beruflichen Karriere.
Fussnoten
Änderung vom 20. März 2015, AS 2015, 4299.
Jungo, Alexandra, Das erste Urteil des Bundesgerichts zum Betreuungsunterhalt: das letzte Wort?, in: Jusletter, 13. August 2018, N. 3.
BGer 5A_454/2017 vom 17. Mai 2018, E. 7.2.2; vgl. auch BGer 5A_384/2018 vom 21. September 2018, E. 4.1.
Schwizer, Angelo / Della Valle, Salvatore, Rechtsprechungsupdate zum Unterhaltsrecht, AJP 2018, 1001.
Vgl. Jungo (zit. in Fn. 2), N. 5.
Vgl. BGer 5A_98/2016, 25. Juni 2018, E. 3.1; dazu: Schwizer / Della Valle (zit. in Fn. 4). 1002.
BGer 5A_384/2018 vom 21. September 2018, E. 4.7.6.
BGer 5A_384/2018 vom 21. September 2018, E. 4.7.7.
BGer 5A_384/2018 vom 21. September 2018, E. 4.7.8.
BGer 5A_991/2015 vom 29. September 2016, E. 4.3 (BGE 142 III 612)
BGE 142 III 612, E. 4.3.