Privatrecht
Die derzeit vorherrschende Notlage im Zusammenhang mit der Pandemie (COVID-19 / Coronavirus) hat einschneidende Auswirkungen auch auf die mietrechtliche Situation vieler Geschäftsmieter, die ihre Geschäfte auf behördliche Anordnung hin schliessen mussten. Nachfolgend sind die zentralen Rechtsfragen für Mieter und Vermieter in aller Kürze zusammengefasst.
Am 13. März 2020, 15.30 Uhr, trat die COVID-19-Verordnung 2 (SR 818.101.24) in Kraft. Die letzten Änderungen traten am 17. März 2020, 0.00 Uhr in Kraft.
Die wichtigsten Änderungen im Zusammenhang mit den zu schliessenden Geschäften, welche mindestens bis 19. April 2020 geschlossen haben müssen, sind (Art. 6 Abs. 2 der Verordnung):
Öffentlich zugängliche Einrichtungen sind für das Publikum geschlossen, namentlich:
a. Einkaufsläden und Märkte;
b. Restaurationsbetriebe;
c. Barbetriebe sowie Diskotheken, Nachtclubs und Erotikbetriebe;
d. Unterhaltungs- und Freizeitbetriebe, namentlich Museen, Bibliotheken, Kinos, Konzerthäuser, Theater, Casinos, Sportzentren, Fitnesszentren, Schwimmbäder, Wellnesszentren, Skigebiete, botanische und zoologische Gärten und Tierparks;
e. Betriebe mit personenbezogenen Dienstleistungen mit Körperkontakt wie Coiffeure, Massagen, Tattoo-Studios und Kosmetik.
Viele Geschäftsmieter sind nun in ihrer Existenz bedroht, müssen - wenn sie dürfen - Kurzarbeitsentschädigungen verlangen und stellen sich die Frage, ob diese Schliessungen zu Mietzinsherabsetzungen führen können. Die Frage wird in den Medien kontrovers diskutiert. Während die einen diese Frage klar bejahen, werden diese von anderen klar in Abrede gestellt. (vgl. Artikel in NZZ vom 17. März 2020 "Muss die Miete bei zwangsgeschlossenem Geschäft weiter fliessen"). Die Diskussionen werden aber bisher zuweilen etwas emotional und wenig rechtlich geführt. Der Begriff "Corona-bedingter Mangel" gibt es im Recht gar nicht.
Ausgangspunkt der Betrachtungen muss der Gesetzeswortlaut sein.
Art. 259a des Obligationenrechtes bestimmt:
1 Entstehen an der Sache Mängel, die der Mieter weder zu verantworten noch auf eigene Kosten zu beseitigen hat, oder wird der Mieter im vertragsgemässen Gebrauch der Sache gestört, so kann er verlangen, dass der Vermieter:
a. den Mangel beseitigt;
b. den Mietzins verhältnismässig herabsetzt;
c. Schadenersatz leistet;
d. den Rechtsstreit mit einem Dritten übernimmt.
2 Der Mieter einer unbeweglichen Sache kann zudem den Mietzins hinterlegen.
Für eine Mietzinsherabsetzung muss somit ein Mangel im Sinne des Mietrechtes vorhanden sein, die der Mieter weder zu verantworten hat noch auf eigene Kosten beseitigen muss oder er muss im vertragsgemässen Gebrauch der Miete gestört sein.
Auf den ersten Blick könnte man dies bejahen; der Mieter trägt keine Verantwortung für die Schliessung seines Geschäftes, er hat auch keine Möglichkeit zur Beseitigung und er ist im vertragsgemässen Gebrauch gestört (worden).
Aber ist es auch ein Mangel im mietrechtlichen Sinne?
Mängel werden grundsätzlich in körperliche (materielle) und unkörperliche (immaterielle) Mängel unterschieden. Körperliche Mängel sind auf Gegebenheiten zurückzuführen, welche die physische Eigenschaft der Sache betreffen. Diese Voraussetzungen sind bei einer Schliessung infolge des Coronavirus nicht erfüllt.
Unter den Begriff der unkörperlichen Mängel fallen bspw. Beeinträchtigungen rechtlicher Natur, bspw. das Fehlen einer notwendigen Bewilligung für die Ausübung einer kommerziellen Tätigkeit (bisweilen Betriebsbewilligungen). Somit könnte das Betriebsverbot gemäss COVID-19-Verordnung 2 ein unkörperlicher, rechtlicher Mangel sein, sofern ein solcher im Rechtssinne vorliegt.
Die Tauglichkeit eines Objektes, dem von den Parteien vereinbarten Gebrauchszweck (Verwendungszweck) zu dienen, kann beispielsweise von bau- oder gewerbepolizeilichen Vorschriften und Auflagen abhängen. Soweit es sich dabei um Vorschriften handelt, die sich an den Vermieter bzw. Verpächter richten, gehört die Einhaltung dieser Vorschriften und Auflagen mangels abweichender Vereinbarung zur Hauptpflicht des Vermieters/Verpächters (Baupolizeiliche Nutzungsvorschriften, Vorschriften und Auflagen zur Ausstattung von Gastlokalen betreffend Abluft, sanitäre Einrichtungen etc.). Ist der Mieter durch solche Vorschriften und Auflagen verpflichtet (Gastgewerbepatente, baupolizeiliche Vorschriften über durch den Mieter angebrachte Reklametafeln und dergleichen), hat der Mieter die Erfüllung dieser Vorschriften und Auflagen ausschliesslich und alleine zu tragen (Zürcher Kommentar zum OR–HIGI, Art. 256 N 40).
Die Mieter (Restaurantbetreiber, Kleiderverkäufer, Schuhgeschäfte, Elektronikläden, Blumenhändler, Coiffeure, Kosmetikerinnen, etc.) dürfen ihre Tätigkeit nicht wegen den (fehlenden) Eigenschaften des Mietobjektes für eine beschränkte Zeit nicht ausüben, sondern ausschliesslich wegen der Notlage und der bundesrätlichen Verordnung zur Coronabekämpfung. Es liegt "höhere Gewalt" vor, welche weder die Mieter noch die Vermieter zu verantworten haben.
Grundsätzlich ist es so, dass die Räumlichkeiten trotz der bundesrätlichen Verordnung weiterhin geeignet und tauglich sind, das nun zeitlich verbotene Gewerbe darin tätigen zu können. Es liegt kein Mangel im eigentlichen Sinne vor. Zudem liegt das Verbot, das Gewerbe weiter zu betreiben, eher im Verantwortungsbereich der Mieterinnen und Mieter, denn sie betreiben das Gewerbe ja auf eigene Kosten und auf eigenes Risiko in den Mieträumlichkeiten.
Die Schliessung aufgrund von höherer Gewalt gehört denn auch zu den klassischen Risiken eines Unternehmers, aber nicht zu einem Risiko, welches die Vermieterschaft tragen muss. Nicht der Vermieter betreibt ein Geschäft, sondern eben gerade die Mieterschaft.
Das Miet- bzw. Pachtobjekt ist trotz den Verboten durch die COVID-19-Verordnung 2 mängelfrei. Der von der Vermieterpartei zugesicherte, zum vorausgesetzten Gebrauch taugliche Zustand des Miet- bzw. Pachtobjekts, ist unbesehen der einschränkenden Verordnung gewährleistet. Die Miet- bzw. Pachtobjekte weisen einen voll gebrauchstauglichen Zustand auf. Der Betrieb des Geschäftes ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil es der Mietsache an einer Eigenschaft fehlt, sondern weil die COVID-19-Verordnung 2 den Betrieb verbietet. Das geschäftsmässige Handeln in den Räumlichkeiten wird zeitlich ausgesetzt, nicht der Verbleib im Mietobjekt. Das Restaurant/der Laden darf weiterhin im Mietobjekt verbleiben, der Betrieb wird aber ausgesetzt bzw. zeitlich verboten. Die Wirte, die Geschäftsinhaber eines Ladens, sind frei, ihre Dienstleistungen so anzupassen, dass der Weiterbetrieb im Mietobjekt weiterhin möglich bleibt. Die Wirtin kann einen Hauslieferdienst betreiben, nur der eigentliche Gastgewerbebetrieb ist eingeschränkt. Der Schuhladen kann via Onlineshop weiterhin Schuhe verkaufen und auch selber liefern oder liefern lassen. Das ist im Mietobjekt weiterhin möglich und zulässig. Damit ist klar, dass nur die Mieterschaft Adressat der Verordnung ist und als solche zur Erfüllung verpflichtet bleibt und mit den darin festgelegten Verboten umgehen muss.
Als weitere Überlegung diene noch der Vergleich mit einem sonstigen, rechtlich relevanten Mietmangel: Der Vermieter hat im hier vorliegenden Fall keine Möglichkeit, den Mangel zu beseitigen. Deshalb hat er ihn auch nicht zu vertreten.
Das Resultat ist nach der hier vertretenen Ansicht eindeutig: ein Anspruch auf Mietzinsherabsetzung besteht nicht. Es liegt kein Mangel der Mietsache vor.
Zum gleichen Resultat kommt man auch, wenn man beispielsweise die Behandlung der vom Bundesrat gesprochenen Entschädigungsmöglichkeiten betrachtet: Erhält die Coiffeuse vom Bund wegen dem Wegfall der Verdienstmöglichkeiten schnelle Hilfe, hat der Vermieter selber keinen Anspruch darauf. Wie müsste man das handhaben, wenn die Coiffeuse den Ausfall bezahlt erhält und gleichzeitig noch Mietzinsherabsetzung erhalten hätte?