Der Liegenschaftsschätzer als gerichtlich bestellt...
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Privatrecht

Der Liegenschaftsschätzer als gerichtlich bestellter Experte

Disposition

Anlässlich des Eingangsreferates im letzten Herbst wurden an dieser Stelle die Regeln der Haftung des Liegenschaftsschätzers gegenüber seinem Auftraggeber und Dritten behandelt.

Ich erlaube mir an dieser Stelle den Hinweis auf die SIV-Infos Ausgabe Nr. 9 - Dezember 2001, worin dieses Referat zusammengefasst publiziert wurde.

Der Liegenschaftsschätzer ist immer ein «Gutachter». Er wird in der Regel bei-gezogen, um für eine oder mehrere Parteien verbindliche Aussagen zum Verkehrs- oder Ertragswert eines bebauten oder unbebauten Grundstückes, von Bauten und Anlagen und dergleichen zu machen. Sein Arbeitsresultat ist deshalb in der Regel ein Gutachten / eine Expertise.

Vorliegend geht es nur am Rande um die Haftung. Der Liegenschaftsschätzer wird immer öfters auch bei prozessualen Auseinandersetzungen, wie bei Erbstreitigkeiten (Teilungsklagen, Herabsetzungsklagen, etc.), bei anderen Forderungsprozessen (Minderwerte im Werkvertragsrecht, etc.) oder sogar in eherechtlichen Streitigkeiten als Experte, welcher den «wahren» Wert einer Liegenschaft zu schätzen hat, beigezogen. Die Festlegungen des Schätzers sind dann für alle Parteien verbindlich und werden in der Regel als «wahr» betrachtet. Die Verantwortung gegenüber Gerichten, Behörden und Parteien ist deshalb gross. Im Folgenden geht es darum, die einzelnen Schritte bei einer gerichtlichen Begutachtung aus der Sicht der Verhaltensweisen gegenüber Gericht, Behörden und den Parteien darzustellen.

Viele sagen, dass man als Berufsmann oder -frau erst dann den «Olymp» bestiegen hat, wenn man auch als gerichtlicher Gutachter beigezogen wird. Stimmt diese Aussage wirklich? Jedenfalls ist es sicherlich nicht schlecht, wenn man in seinem curriculum vitae aufführen kann, dass man auch vor den Gerichten des Kantons oder der Region als Gutachter anerkannt wird. In Tat und Wahrheit findet man als Anwalt in Prozessen, in welchen Gutachten erstellt werden müssen, in der Regel immer in etwa wieder dieselben Experten wieder.

Wie kommt man zu solchen Mandaten? Der gute Ruf wird voraneilen. Gute Fachkompetenz über Jahre hinweg spricht sich bei Anwälten und Richtern herum, das persönliche Beziehungsnetz tut dann ein Übriges. Voraussetzung ist immer eine fundierte Ausbildung, die Redlichkeit der Aussagen in Gutachten und schlussendlich auch der reelle Preis. Es spielen also auch hier die «normalen» Regeln auf dem Dienstleistungsmarkt.

Es gibt beispielsweise auch die Schweizerische Kammer technischer und wissenschaftlicher Gerichtsexperten (SKGE), eine privatrechtliche Vereinigung (gegründet 1944), welche einen Zusammenschluss von national und international ausgewiesenen Fachleuten der Technik und der Wissenschaft bildet. Die Mitgliedschaft berechtigt zur Verwendung der Bezeichnung «Gerichtsexperte, Mitglied der Schweizerischen Gerichtsexpertenkammer (SKGA SWISS EXPERTS)». Zugelassen werden neue Mitglieder durch eine Zulassungskommission, welche Güte, Redlichkeit und Fachkompetenz zu überprüfen hat. Das heisst aber nicht, dass eine Mitgliedschaft in dieser Kammer zur Begutachtung vor Gericht notwendig wäre. Schädlich ist sie aber sicher nicht.

Weil die Schweiz (noch) 26 verschiedene Zivilprozessordnungen kennt, können nicht alle einzeln dargestellt werden. Stellvertretend werden hier die Regelungen des Kantons Bern vorgestellt. Diese sind für die Schweiz typisch, so dass sie ohne weiteres auf die anderen Kantone (mit Nuancen) übertragen werden können. Das Beweisrecht wird in hohem Masse auch durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtes geprägt, weshalb die Zivilprozessordnungen der einzelnen Kantone in diesem Bereich als Ausfluss einer konstanten Rechtsprechung bezeichnet werden dürfen.

Die Vorschriften befinden sich in den Artikeln 212 und 264 bis 272 der Zivilprozessordnung des Kantons Bern (ZPO).

1. Abgrenzungen

Ein Gutachten für eine Prozesspartei (in oder ausserhalb eines Prozesses) ist kein gerichtliches Gutachten sondern ein Parteigutachten, welches für die im Streit stehenden Parteien grundsätzlich nicht verbindlich ist. Das Einholen solcher Gutachten durch die Parteien im Vorfeld des Prozesses ist zwar üblich, doch kommt ein Richter in der Regel im Rahmen der Beweiserwahrung selten darum herum, noch ein gerichtliches Gutachten oder zumindest ein Ober-gutachten, welches sich zu den eingereichten Gutachten äussert, einzuholen.

Von diesem gerichtlichen Gutachten soll hier die Rede sein.

2. Beweisrecht im Zivilprozess

Derjenige, der ein Recht behauptet, muss dies auch beweisen (ZGB Art. 8). Die Bestimmung des allgemeinen Teils des Zivilgesetzbuches gilt für das gesamte Zivil- und Verwaltungsrecht, sofern einzelne Bestimmungen nichts anderes bestimmen.

Der Volksmund sagt auch: «Recht hat, wer Recht bekommt». Damit ist die Beweisführungslast gemeint: Diejenige Partei, die das Vorhandensein einer rechtlich relevanten Tatsache behauptet, muss dies auch beweisen (können). Misslingt dieser Beweis, gilt die Behauptung als nicht erwahrt und ist vor Gericht unerheblich.

Der Beweis kann im ordentlichen Verfahren durch folgende Beweismittel erbracht werden (ZPO Art. 212):

  1. Urkunden
  2. Zeugen
  3. Sachverständige
  4. Augenschein
  5. Parteiverhör

Diese Aufzählung ist grundsätzlich abschliessend. «Neue» Methoden der Beweisführung (Video, Foto, E-Mail, Fax, etc.) sind gemäss der Rechtsprechung im Rahmen der freien Beweiswürdigung zulässig. Sie sind aber wegen der teils digitalen Daten einfach und ohne Spuren zu hinterlassen manipulierbar, weshalb die Gerichte bei einzelnen grosse Zurückhaltung üben.

Das Sachverständigengutachten, um das es hier geht, ist manchmal das einzige Mittel im Prozess, um Tatsachen, welche die Parteien und der Richter aus der allgemeinen Lebenserfahrung und mit den übrigen Beweismitteln nicht belegen können, zu beweisen. Der Richter ist bei der Beweiswürdigung grundsätzlich frei, d.h. er hat die Schlussfolgerungen des Experten nicht sklavisch zu übernehmen, sondern zu hinterfragen, ob die vom Gutachter gemachten Ausführungen die zu beweisenden Tatsachen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit belegen oder nicht. Nur wenn er vom Ergebnis überzeugt ist, darf er ein darauf abgestütztes Urteil fällen.

Die zunehmende «Expertokratie» und die immerwährend komplizierter werden-den Lebenssachverhalte führen dazu, dass Forderungsprozesse nur noch selten ohne die Erstellung eines Gutachtens geführt werden können. Man stelle sich hier beispielsweise einen Schadenersatzprozess gegen einen Nachbarn einer Fabrikhalle vor, welcher durch seine Bauarbeiten einen Stromausfall verursachte, womit die Produktion von verderblichen Nahrungsmitteln des Klägers während Stunden eingestellt werden musste. Wie hoch ist nun der Betriebsausfall wirklich?

– Ohne Gutachten könnte man gleich eine Münze werfen (vielleicht käme man manchmal auch zu einem guten Ergebnis!).

Geht es beispielsweise bei einer Erbteilung unter zwei Geschwistern darum, die einzige, in der Erbmasse vorhandene Liegenschaft aufzuteilen, indem sie der Bruder zu einem Preis X übernehmen soll, wird schnell über den tatsächlichen Wert der Liegenschaft gestritten. Die Schwester möchte naturgemäss einen möglichst hohen Wert eingesetzt sehen, der Bruder einen möglichst tiefen. Der Wert muss – besteht keine Einigung darüber – also im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens geklärt werden. Hierzu braucht der Richter naturgemäss die Aussage von besonders befähigten Experten, er selber wird nicht in der Lage sein, den Wert zu bestimmen (das ist auch gar nicht seine Aufgabe).

3. Die Vorschriften zum Sachverständigengutachten im bernischen Prozessrecht

3.1. Verhältnis zum Gericht

Art. 264
Sachverständige
Ist für den Augenschein oder zur Entscheidung einer Tatfrage Fachkenntnis erforderlich, die dem Richter abgeht, so werden von ihm Sachverständige er-nannt, welche im ersten Falle dem Augenschein beizuwohnen oder nach Ermessen des Richters den Augenschein allein vorzunehmen haben. Die Parteien sind hiezu in der Regel beizuziehen.

Der Richter ernennt den Sachverständigen. Der entsprechende «Auftrag» (vgl. die Ausführungen zur Haftung des Liegenschaftsschätzers) entsteht also zwischen dem Staat und dem Liegenschaftsschätzer. Der Gutachter ist weder der einen noch der anderen Prozesspartei direkt verpflichtet, sondern einzig und alleine dem Richter. Der Vertrag ist ein besonderer und basiert auf dem öffentlichen Prozessrecht und nicht auf dem Zivilrecht. Das Thurgauer Verwaltungsgericht hat das Rechtsverhältnis mit dem Gutachter in einem Entscheid von 1997 zutreffend wie folgt beschrieben:

«Der Gerichtsexperte ist durch ein dem Auftrag vergleichbares Rechtsverhältnis an die auftraggebende Behörde gebunden; er wird durch die Beauftragung zum Gehilfen des Gerichts. Hiefür ist ein Gerichtsbeschluss beziehungsweise ein hoheitlicher Akt erforderlich, so dass mit der Ernennung des Experten zwischen dem Gericht beziehungsweise dem Staat und dem Experten ein öffentlich-rechtliches Verhältnis begründet wird. Dies zeigt sich insbesondere darin, dass die Übernahme eines Expertenauftrages als öffentlich-rechtliche Pflicht betrachtet wird und deshalb verschiedene Zivilprozessordnungen auch vorsehen, dass diese - zumindest für bestimmte Personen oder Personengruppen - verpflichtend und unter Sanktionierung verfügt werden kann. Das Gericht kann sodann den Auftrag auch wieder entziehen und die Entschädigung des Experten wird schliesslich auch durch das Gericht festgelegt. Das Rechtsverhältnis des Expertenauftrages wird damit teilweise im öffentlichen Recht - konkret im Prozessrecht - geregelt. Fehlt es an solchen Normen, ist subsidiär Auftragsrecht gemäss Art. 392 ff. OR als kantonales öffentliches Recht anzuwenden (vgl. Cavelti, Die Expertise im Bauprozess, in: Koller, Bau- und Bauprozessrecht, ausgewählte Fragen, St. Gallen 1996, S. 309)» (TVR 1997 Nr. 18).

Das St. Galler Verwaltungsgericht entschied im Jahre 2000[1] gleich, indem es ausführte, dass der Expertenauftrag ein öffentlichrechtlicher Auftrag sei, wobei der Staat Auftraggeber ist. Über streitige Ansprüche aus einem solchen Vertrag entscheidet das Verwaltungsgericht (weil öffentlich-rechtlicher Natur).

Auch hat nur das Gericht ein Weisungsrecht dem Experten gegenüber, die zu beantwortenden Fragen sind durch den Richter zu stellen. Die Parteien haben ihre Anliegen via Gericht einzubringen und dürfen keinesfalls dem Experten direkt Weisungen erteilen und Fragen stellen.

3.2. Annahmepflicht

Muss der angefragte Schätzer den Auftrag annehmen?

Art. 266
Sachverständigenpflicht
1 Jeder Zeugenpflichtige ist, wenn er die erforderlichen Fachkenntnisse besitzt und das sechzigste Altersjahr nicht überschritten hat, zur Übernahme des richterlichen Auftrages verpflichtet.
2 Wer sich unbefugt weigert, den richterlichen Auftrag zu vollziehen, wird wie ein widerspenstiger Zeuge behandelt.

Art. 267
Sachverständigenablehnung
Der Richter soll niemanden als Sachverständigen bezeichnen, der als Richter abgelehnt werden könnte.
Aufgrund des soeben beschriebenen, öffentlich-rechtlichen Verhältnisses mit dem Gericht ist der Sachverständige grundsätzlich gehalten, den Gut-achterauftrag anzunehmen und kann nur dann ablehnen, wenn er die Aussage als Zeuge auch verweigern könnte (Verwandtschaft, Bekanntschaft, wenn er sich selber belasten müsste, etc.). In der Praxis verhält es sich aber stets so, dass der Gutachter zuerst angefragt wird, bevor der Richter ihn ernennt. Ist ihm die Abgabe des Gutachtens beispielsweise aus Zeitgründen oder wegen sonstiger Überlastung nicht möglich, wird ihn kein Richter dazu gegen seinen Willen bestimmen.

Ablehnen muss der Gutachter den Auftrag aber, wenn Ausstandsgründe (analog der Bestimmung für Richter) bestehen:

Art. 10
Ausstand der Gerichtspersonen
Eine Gerichtsperson darf an der Behandlung und Beurteilung eines Rechtstreites nicht teilnehmen

  1. wenn ihr ein gesetzliches Erfordernis für das Amt abgeht;
  2. wenn ihr die zur Besonnenheit und Willensfreiheit erforderlichen Eigenschaften fehlen;
  3. (gestrichen)
  4. wenn sie am Ausgange des Streites ein unmittelbares Interesse hat

Art. 11
Ablehnung der Gerichtspersonen
Ausserdem kann eine Gerichtsperson abgelehnt werden:

  1. wenn sie zu einem der streitenden Teile im Verhältnis eines Ehegatten, eines Verlobten, eines Verwandten in der geraden Linie oder bis und mit dem vierten Grade der Seitenlinie oder eines Verschwägerten in der geraden Linie oder bis und mit dem dritten Grade der Seitenlinie oder in einem altrechtlichen Adoptivverhältnis steht; [Fassung vom 22. 11. 1989]
  2. wenn sie für eine Partei in dem obschwebenden Rechtsstreite als Vormund, Beistand, Anwalt oder Bevollmächtigter verhandelt oder in anderer Instanz als Richter geurteilt hat oder als Zeuge oder Sachverständiger aufgetreten ist sowie wenn sie in der Streitsache Rat erteilt hat;
  3. wenn eine ihr in gerader Linie oder im zweiten Grade der Seitenlinie verwandte oder verschwägerte Person in dem Streite als Anwalt oder Bevollmächtigter verhandelt hat;
  4. wenn sie oder eine ihr in gerader Linie verwandte oder verschwägerte Person mit einer der Haupt- oder Nebenparteien in einem Zivil- oder Strafprozesse steht oder innert Jahresfrist vor der Ablehnung gestanden hat;
  5. wenn Tatsachen vorliegen, welche geeignet sind, sie als befangen erscheinen zu lassen und Misstrauen gegen ihre Unparteilichkeit zu erregen.

Art. 12
Selbstablehnung der Gerichtspersonen
1 Eine Gerichtsperson, welche weiss, dass ein Ablehnungsgrund gegen sie besteht, ist verpflichtet, dem Gerichte, welches über die Ablehnung zu entscheiden hat (Art. 14), hievon Mitteilung zu machen. Das Gericht entscheidet von Amtes wegen über die Ablehnung.
2 Lautet der Entscheid auf Abweisung der Ablehnung, so bleibt es den Parteien unbenommen, ihr Ablehnungsrecht selbständig geltend zu machen.

Die wichtigsten Ausschlussgründe sind demgemäss zusammengefasst:

  1. Verwandtschaft.
  2. Eigenes Interesse am Ausgang des Prozesses.
  3. Wenn der gerichtliche Experte mit der Angelegenheit für eine Partei bereits tätig war und sich geäussert hat.

Der angefragte Gutachter hat dabei die Ausschlussgründe dem Gericht unaufgefordert mitzuteilen (ZPO Art. 12).

3.3. Ernennung, Form und Frist zur Abgabe des Gutachtens

Art. 268
Ernennung der Sachverständigen
Die Ernennung ist den Sachverständigen schriftlich mitzuteilen, mit Erläuterung, ob sie ihr Gutachten mündlich oder schriftlich abzugeben haben.

Art. 269
Fristbestimmung für Abgabe des Gutachtens
1 Ist das Gutachten schriftlich abzugeben, so ist den Sachverständigen hiefür eine Frist zu bestimmen, welche der Richter nach Gutfinden erstrecken kann.
2 Geben die Sachverständigen ihr Gutachten nicht innerhalb der Frist ein, so können sie vom Richter, falls sie nicht genügende Entschuldigungsgründe vorbringen, mit einer Ordnungsbusse bis zu 500 Franken belegt werden.

Die Ernennung ist ein hoheitlicher, gerichtlicher Akt, welcher üblicherweise mit einer gerichtlichen Verfügung passiert, welche den Parteien und dem Gutachter eröffnet wird. Zur Rechtsnatur des Vertrages siehe Ziff. 3.1 hiervor.

Damit erhält der Gutachter einen Auftrag, im Prozess gutachterlich tätig zu werden. Diesen hat er zu erfüllen und kann von seinem Widerrufsrecht nach OR (gemäss normalem Auftragsrecht) keinen Gebrauch machen. Er hat sich an die gestellten Fragen zu halten und diese nach bestem Wissen und Gewissen zu beantworten. Die Form, mündlich oder schriftlich, bestimmt ebenfalls der Richter. Liegenschaftsschätzer dürften wohl nur in den seltensten Fällen in die Lage kommen, ein Gutachten mündlich abzugeben. Die Regel ist die Schriftlichkeit.

Die vom Richter anzusetzende Frist ist nicht so streng zu sehen: erstens passiert es in der Praxis eher selten, dass der Richter eine kurze Frist ansetzt, zweitens wird diese in der Regel zwischen dem Richter und dem Gutachter vorgängig mündlich abgesprochen und drittens kann die Frist auf Gesuch hin jederzeit verlängert werden.

3.4. Honorierung

Es ist keinesfalls so, dass der Gutachter davon ausgehen kann, er habe jetzt das „Geschäft seines Lebens“ an Land gezogen. Die Honorierung wird im bernischen Zivilprozessrecht durch den Richter nach freiem Ermessen festgesetzt:

Art. 272 [Fassung vom 22. 11. 1989]
Honorar der Sachverständigen
Der Richter bestimmt die Entschädigung der Sachverständigen nach freiem Ermessen; vorbehalten bleiben abweichende Bestimmungen.

„Freies Ermessen“ bedeutet dabei nicht willkürliches Festlegen nach dem Gutdünken des Richters. Er hat dabei den Honorarordnungen des betreffenden Berufszweiges, bzw. den üblichen Ansätzen zu folgen, welche auch auf dem Markt bezahlt werden. Das Thurgauer Verwaltungsgericht führte hierzu im bereits zitierten Entscheid[2] aus: „Somit hat das Gericht das Expertenhonorar nach richterlichem Ermessen festzusetzen, wobei sich die Entschädigung nach der geleisteten Arbeit und der Bedeutung der Streitsache zu richten hat“.

Es sind also auch die verbands- bzw. branchenüblichen Tarife zu berücksichtigen. Böse Zungen behaupten, dass nur noch bei gerichtlichen Gutachten das SIA-Honorar bezahlt wird (im Architekten- und Ingenieurbereich).

In der Regel lassen die Gerichte den beabsichtigten Experten eine Offerte zu Handen des Gerichtes erstellen. Das Kantonsgericht St. Gallen hat hierzu in einem Urteil vom 9.2.1994[3] einen Fall zu beurteilen gehabt, in welchem das Expertenhonorar doppelt so hoch wie der Voranschlag ausgefallen war. Es bestätigte die erstinstanzliche Reduktion des Honorars wegen des Umstandes, dass der Experte die Erschöpfung des Expertisenvorschusses nicht rechtzeitig mitgeteilt hat. Das bedeutet für die Praxis, dass wenn sich abzeichnet, dass das Honorar über der Offerte zu liegen kommt, der Richter rechtzeitig zu informieren ist. Dies hat nämlich zur Folge, dass das Gericht die Parteien zu weiteren Beweiskostenvorschüssen anhalten kann. Bei Unterlassung dieser Nebenpflicht läuft der Experte sonst Gefahr, seinen Honoraranspruch wenigstens teilweise zu verlieren.

Was der Experte wissen muss und sich vor Augen halten sollte ist, dass die gesamten Expertisekosten von den Prozessparteien vorgeschossen und schlussendlich von der unterliegenen Partei zu tragen sind (ZPO Art. 58). Es ist also keineswegs so – bzw. äusserst selten -, dass die Gutachterkosten schlussendlich durch das Gericht bzw. den Kanton getragen werden.

4. Wer bestimmt den Gutachter und die zu beantwortenden Fragen effektiv?

Wie gesehen, ernennt der Richter den Gutachter und stellt ihm die Fragen. Er hat «das letzte Wort» und kann im Rahmen der Prozessführung das Beweis-verfahren bestimmen. Die Regel ist aber, dass die Parteien im Verfahren Expertenvorschläge unterbreiten und man sich an einer Instruktionsverhandlung auf die Beauftragung des Experten einigt. Dabei kann es gut geschehen, dass ein Gutachter «durchkommt», welcher der einen oder anderen Partei (vielleicht aufgrund von vorbestehenden Geschäftsbeziehungen) näher steht als der anderen.

Das soll und darf auf die Tätigkeit als Gutachter aber keinen Einfluss haben, obschon man hier auch nicht allzu blauäugig sein darf. Der Gutachter haftet im Endeffekt für die Richtigkeit seines gegenüber dem Gericht (!) abgegebenen Gutachtens, weshalb es grundsätzlich wahr und richtig sein muss. Der Experte muss vollständig neutral handeln. Tut er es nicht, wird er wohl zum letzten Mal gerichtlicher Gutachter gewesen sein!

In der Regel erhält der Gutachter vom Gericht einen Fragenkatalog, den er „abzuarbeiten“ hat. Bei Unklarheiten sollte man sich umgehend mit dem Richter in Verbindung setzen, damit keine Ergänzungs- und Obergutachten notwendig werden. Es gibt für das Gericht und die Parteien nichts Ärgerlicheres als ein Gutachten, welches die sich im Fall stellenden Fragen nicht beantwortet. Das macht den Prozess teuer und noch langwierig(er).

5. Schätzungsmethode/n

Wie bereits am Anfang des Kurses zur Haftung des Liegenschaftsschätzers ausgeführt, hat der Schätzer den anerkannten Regeln des Berufsstandes und der Wissenschaft und Technik zu folgen. Das ist Ausfluss des objektiven Sorgfaltsmassstabes für jeden Schätzungsauftrag. Diese Regel besteht im Übrigen bei amtlichen Schatzungen durch die Gültschatzungskommission ebenfalls:

Artikel 4 der Verordnung über die amtliche und ausseramtliche Schätzung von Grundstücken (Schätzungsverordnung) des Kantons Bern bestimmt beispielsweise:

1 „Für die Schätzung nichtlandwirtschaftlicher und landwirtschaftlicher Grund-stücke gelangen die allgemein anerkannten Schätzungsmethoden und -grundsätze zur Anwendung.
2 Für die Ermittlung des Ertragswertes landwirtschaftlicher Gewerbe und Grundstücke sind die Vorschriften des Bundesrechtes (BGBB Art. 10 [SR 211.412.11] ) massgebend“.

Es bleibt also weder Platz für «exotische» noch für «konservative» Bewertungsmethoden. Der Richter und die Parteien wollen – in der Regel – den effektiven Verkehrswert aufgrund einer fundierten Einschätzung wissen. Nicht mehr und nicht weniger.

6. Haftung für das Gutachten

Der Schätzungsvertrag mit dem Gericht (bzw. dem Staat) folgt in Bezug auf die Haftung den Regeln des Auftrages. Der Schätzer hat also für die sorgfältige Besorgung des ihm übertragenen Geschäftes und nicht für den Erfolg einzustehen. Kann die Liegenschaft nach erfolgter gerichtlicher Expertise auf dem Markt nicht zum geschätzten Preis verkauft werden, heisst das nicht automatisch, dass der Gutachter dafür haften würde[4]. Nur dann, wenn er objektiv gesehen den im Einzelfall gebotenen Sorgfaltsmassstab verletzt hat, kann eine Haftung bejaht werden.

Auf diese Haftung könnten sich meines Erachtens die Parteien aber sehr wohl direkt berufen (analog wie bei einem Vertrag zu Gunsten Dritter).

7. Zusammenfassung

Ein gerichtliches Gutachten hat grundsätzlich erhöhte Beweiskraft. Erstens ist es für alle Beteiligten im Ergebnis verbindlich und die Prozessbeteiligten werden sich zweitens nicht nur in der ersten Instanz immer wieder auf die Expertise und deren Schlussfolgerungen berufen.

Im Weiteren muss sich der Gutachter auch der weiten Tragweite seiner Feststellungen bewusst sein: der anlässlich des Vortrages über die Haftpflicht behandelte Fall des Oberlandesgerichts Schleswig Holstein vom März 2000 zeigt die rechtliche Konsequenz eines gerichtlichen Gutachtens mit aller Deutlichkeit auf:

  • Ein erster Schätzer schätzte ein Grundstück auf DM 260-270'000.—.
  • Nach Verkauf zu diesem Preis kam ein Interessent und bot DM 320'000.--.
  • Es kam zum Gerichtsverfahren mit einem Gutachten. Der Gutachter schätzte DM 305'000.--.
  • Der erste Schätzer wurde verurteilt, dem Verkäufer einen Betrag von DM 45'000.—zu bezahlen (DM 305'000.—gem. Gutachten abzgl. 260'000.—erste Schätzung).

Angenommen, auch der gerichtliche Gutachter hätte bei seiner Einschätzung unsorgfältig gehandelt, verursachte er einen «neuen» Schaden. Dieser kann bei der einen Partei (zu hohe Schätzung) oder bei der anderen Partei (zu tiefer Preis) liegen. Die Gerichte gehen in der Regel von der Richtigkeit der von Ihnen veranlassten Gutachten aus und auch die oberen Instanzen «stürzen» sich geradezu auf die Resultate. Die Verantwortung des Gutachters ist dementsprechend äusserst hoch.

Kurz gefasst können die einzelnen Schritte folgendermassen beschrieben werden:

  1. Ein Gutachterauftrag vor Gericht muss angenommen werden, sofern nicht Ausstandsgründe bestehen.
  2. Der Vertrag ist ein öffentlich-rechtlicher Auftrag mit dem Staat.
  3. Es sind nur diejenigen Fragen zu beantworten, die vom Richter in der entsprechenden Verfügung oder Mitteilung gestellt werden. Bei Unklarheiten sofort zurück fragen.
  4. Das Honorar für das Gutachten sollte mit dem Richter vor Beginn der Arbeiten bestimmt werden. Bei absehbarer Überschreitung der geschätzten Kosten sofortige Mitteilung an den Richter und dessen Entscheid abwarten. Gleiches gilt, wenn die Abgabefrist nicht eingehalten werden kann (Fristverlängerungsgesuch mit Begründung stellen).
  5. Das Gutachten ist nur dem Gericht abzugeben (nicht an die Parteien, das macht das Gericht). Üblicherweise wird die Honorarnote gleich zusammen mit dem Gutachten dem Gericht abgegeben.
  6. Eventuell wird der Gutachter vom Gericht anlässlich einer Hauptverhandlung noch mündlich einvernommen (diesfalls ist er wie ein Zeuge abzuhören und erhält eine amtliche Vorladung, welcher Folge zu leisten ist).

Fussnoten

  1. VGE vom 24.8.2000 in BR/DC 3/2001 S. 126 (455)

  2. TVR 1997 Nr. 18

  3. GVP SG 1994 Nr. 59 S. 130f. mit Anmerkung Oscar Vogel in BR/DC 2/96 S. 55 (125)

  4. vgl. hier BGE 127 III 328 (erwähnt in den Unterlagen zum Vortrag „Haftung des Liegenschaftsschätzers“)

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